„Teams, in die jeder seine eigenen Kompetenzen einbringt“ – Dr. Mehmet Gövercin fördert Zusammenarbeit in der Rehabilitation

Die Abteilung der geriatrischen Rehabilitation hat einen neuen Chefarzt: Dr. Mehmet Gövercin. Chefärztin Susanne Mährlein-Bischoff, die die Abteilung am Standort der Brandenburgklinik mit aufgebaut und etabliert hat, übergab die Führung nun vollständig in die Hände Ihres Nachfolgers. „Wir sind dankbar, dass uns Frau Mährlein-Bischoff über viele Jahre begleitet und bereichert hat – mit Ihrer Kompetenz und Ihrer empathischen Persönlichkeit. Sie hat viel Herzblut in die geriatrische Abteilung gesteckt und sich nun entschieden, sich im Ruhestand viel Zeit für Ihre Familie zu nehmen“, sagt Kai-Uwe Michels. Eigentlich hätte man sie am liebsten gar nicht gehen lassen wollen, sei aber umso glücklicher, mit Dr. Mehmet Gövercin einen fachlich versierten Nachfolger gefunden zu haben.

Seit Anfang März hat Dr. Mehmet Gövercin das Team der Geriatrie verstärkt und in einem weichen und lückenlosen Übergang gemeinsam mit Susanne Mährlein-Bischoff und dem Geri-Team den Umzug in die neuen Räumlichkeiten, den Tannenhof, gestemmt. Damit steht die geriatrische Abteilung auch vor einer Zeit des Umbruchs: Neben dem Umzug in die neuen Räumlichkeiten, erweitert sich das Team, Abläufe festigen sich neu. Das reizt Gövercin: Das Etablieren neuer Strukturen, das Fördern von Teams liegt ihm ebenso am Herzen, wie die Auseinandersetzung mit komplexen Inhalten. „Wäre ich nicht in die Medizin gegangen, wäre ich wohl Physiker geworden“, sagt Dr. Gövercin. Eingeschrieben war er bereits, da sein Abischnitt für das Medizinstudium anfangs nicht ausreichte. Doch nachdem er beim Medizinertest zu den besten 10 Prozent Deutschlands gehörte, stand dem Studium nichts mehr im Wege. Nun, als Chefarzt, liegt ihm am Herzen, „dass die Menschen mit denen ich jeden Tag zusammenarbeite, zufrieden sind, Spaß an der Arbeit haben und ihr volles Potenzial ausschöpfen können.“ Warum er die Geriatrie als Fachgebiet wählte und welche Wünsche er für die Arbeit am Tannenhof hat, hat er uns im Interview verraten.

Willkommen im neuen Job. Sie sind seit einigen Wochen in der Brandenburgklinik im Einsatz. Wie gefällt es Ihnen bisher?

Es ist genauso wie ich es erhofft hatte: sehr schön und nicht nur ruhig, sondern auch lebendig. Die Umgebung hat immer auch einen Einfluss auf die Menschen. Wenn es draußen friedlich ist, sind es auch die Menschen und das wirkt sich auch positiv auf das Arbeitsklima aus. Man merkt große Unterschiede. Ich habe schon in allen Bereichen gearbeitet, von der Intensivmedizin am Deutschen Herzzentrum bis hin zur ambulanten Reha. Und deshalb weiß ich natürlich, was mich hier erwartet. Die Medizin, die hier gemacht wird, rettet zwar nicht unmittelbar das Leben der Patienten, aber dafür beeinflusst sie es entscheidend. Das ist das Spannende, finde ich: zu sehen, wie die Medizin, die wir hier machen, die Lebensqualität der Menschen verbessert.

Wie kam es dazu, dass Sie sich entschieden haben, von der Arbeit in einer Ambulanz in die Rehabilitation zu wechseln?

Ich finde, dass man hier die Möglichkeit hat, sich zu entfalten. Momentan haben wir wirklich eine enorme Entwicklung in der geriatrischen Rehabilitation. Das ist ein vergleichsweise neuer Bereich und es macht mir Spaß, Dinge aufzubauen. Ich habe im Geriatriezentrum mit der Charité zusammen eine große Forschungsgruppe und eine Intensivstation für kardiologische Patienten aufgebaut. Und wir haben hier den Tannenhof, der neu gebaut worden ist und erst eröffnet hat. Es ist eine schöne Herausforderung, wenn man sieht, wie sich die geriatrische Rehabilitation hier entwickelt und dass ich daran mitwirken kann. Die Rehabilitation bietet für viele Menschen, und das ist wohl der wichtigste Grund überhaupt, eine Möglichkeit, das Leben in den eigenen vier Wänden fortzuführen. Das Schönste, was man als Arzt erreichen kann ist, wenn man es den Menschen ermöglicht, ein selbstbestimmtes Leben im eigenen Heim zu führen. Und das kann man meiner Meinung nach in der Reha sehr gut tun.

Haben Sie bestimmte Visionen oder Wünsche, in welche Richtung sich die neue Geriatrie entwickeln sollte?

Das Schöne an der neuen Klinik und an der Entwicklung der Geriatrie ist, dass man unmittelbar Einfluss auf die Medizin, Pflege und die Therapie hat, die den Menschen zuteilwird. Man hat zusammen mit dem gesamten Team die Möglichkeit, die Rehabilitation des Patienten zu gestalten und allein die Tatsache, dass man das gemeinsam tut, ist etwas Wunderschönes. Spannend ist auch die Arbeit in multidisziplinären Teams, in die jeder seine eigenen Kompetenzen einbringt – und die gilt es zu fördern. Dadurch entsteht eine Vielfältigkeit von der die Therapie enorm profitiert. Das führt auch dazu, dass die Patienten zufriedener sind, weil sie das Gefühl haben, umfassend betreut zu werden.

Sie haben die Geriatrie bereits ab 2006 an der Charité als einen Ihrer Schwerpunkte definiert. Was hat sie schon so früh an diesem Feld interessiert?

Ich war junger Arzt an der Charité und habe in meiner Ausbildung die unterschiedlichen Stationen durchlaufen. Im Anschluss daran habe ich nach einer Stelle gesucht, in der ich das Wissen aus diesen vielfältigen Bereichen auch anwenden kann. Das hätte natürlich in allen Bereichen sein können. Was aber an der Geriatrie für mich so spannend war, ist, dass man hier als ganzheitlicher Mediziner gefordert ist. Sie haben nicht nur eine Diagnose, sondern gleich mehrere Erkrankungen und Medikamente, die es in ihrer Wechselwirkung zu berücksichtigen gilt. Das hat mich gereizt, weil es eine besondere Herausforderung ist. Die Geriatrie ist ein recht komplexes Feld und ich mich hat das Komplexe immer schon angezogen.

Apropos Komplexität: Sie haben ja auch zu Alter und Technik geforscht.

Ich habe mich schon früh für alles Technische interessiert und schon in der Grundschule mit BASIC programmiert. Damals, 1983/84, kamen gerade die ersten Computer heraus. Das hat mich magisch angezogen und auch weiter begleitet. Als ich in die Geriatrie kam, habe ich festgestellt, dass rund um das Thema Technik und Alter – so hieß auch meine Arbeitsgruppe – viele Vorurteile herrschen. Man ging immer davon aus, dass ältere Menschen keine Technik benutzen können oder wollen. Das wollte ich nicht auf mir sitzen lassen. Ich habe früh angefangen, als Stations- und Assistenzarzt Studien zu machen: Zusammen mit der Firma Philipps und einem Ergotherapeuten habe ich zum Beispiel ein Schlaganfalltrainingssystem für ältere Menschen entwickelt. Das wurde durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert, sodass aus dem Nichts ein großes Team mit 14 Wissenschaftlern entstanden ist. Gemeinsam haben wir haben Systeme zur automatischen Sturzdetektion entwickelt oder Trainingssysteme, die es den Patienten ermöglicht haben, zu Hause ihre Erfolge, die sie in der Reha erarbeitet haben, zu erhalten und weiter auszubauen.

Wie sah das konkret aus?

Im Prinzip ähnlich wie bei Spielekonsolen wie der Wii, die Bewegungen automatisiert erfassen können. Bei exakt ausgeführten Bewegungen erfolgt eine motivationale Belohnung, gibt es noch Verbesserungspotenzial, gibt die Konsole bzw. der Trainer dem Patienten Feedback.

Wie funktioniert es, ältere Menschen an solche Technik heranzuführen?

Das haben wir nicht nur darüber gemacht, dass es motivational ist – Stichwort „Serious Gaming“. Das bedeutet, dass die Tätigkeiten der die Patienten nachgehen, auch wenn sie die Gesundheitsförderung zum Ziel haben, Spaß bereiten sollten. Dabei sollten mögliche Interessensunterschiede je nach demografischer Gruppe berücksichtigt werden. Wir haben auch viel im Bereich Usability geforscht und überprüft, wie die Patienten die Geräte nutzen oder wie sie für eine optimale Nutzung aufgebaut sein sollten. In Potsdam haben wir 40 Häuser mit solchen Technologien ausgestattet. Und was wir festgestellt haben ist, dass sie begeistert davon waren, sich untereinander via Videotelefonie zu unterhalten. Ganz einfache Dinge, die heute eigentlich Standard sind. Für die alten Menschen war das ganz toll. Aber auch die Möglichkeit einen Arzt oder Therapeuten online zu erreichen hat für sie viele Vorteile geboten. Das haben wir schon viele Jahre vor Corona gemacht. Damals war es natürlich noch mit sehr großem Aufwand verbunden.

Inwiefern denken Sie, können Sie diese Erfahrungen auch in Ihre jetzige Position als Chefarzt der Geriatrie Tannenhof einbringen?

Ich hoffe, dass ich meine Erfahrungen in diesem Bereich teilweise auch im Tannenhof einbringen kann, auch wenn ich natürlich weiß, dass hier die Patientenversorgung an oberster Stelle steht. Aber meine Hoffnung ist, meine Kreativität nutzen zu können. Möglichkeiten dazu gibt es auf jeden Fall: Zum Beispiel mit vorhandenen Therapiegeräten im Tannenhof, wo man moderne Systeme testen und im Eigentherapietraining einsetzen könnte.

 

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