Prof. Dr. Walter Christe: Gekommen, um zu bleiben und Gesundheit in der Neurologie zu fördern

Die Neurologie hat Prof. Dr. Walter Christe schon immer interessiert. Im Nervensystem fließt alles zusammen. Eine kleine Störung kann verheerende Folgen haben. Aber man kann ihnen begegnen. Die komplexen Zusammenhänge zu verstehen, ist sein Lebenswerk. Und das ist längst nicht vollendet. Denn Ruhestand ist für ihn noch lange keine Option.

Mehr als ein halbes Jahr ist Prof. Dr. Walter Christe Chefarzt der Neurologie Phase C und D in der Brandenburgklinik. Mit seinem Klapprad sieht man ihn häufig vom Haus Potsdam zum Haus Berlin und zurück zum Haus Havelland fahren. „Anders als mit dem Fahrrad ist das auf dem großen Campus ja kaum möglich“, sagt er. Christe ist einer, der gern nah dran sein möchte – nicht nur an Strukturen oder Weiterentwicklungen, auch an Patienten und Mitarbeitern. Das gehört dazu bei jemandem, dessen Lebenstraum die Medizin war. Einige Jahre hatte der in Stuttgart geborene Christe auf das Studium gewartet. Er macht kein Geheimnis daraus, dass das Abizeugnis keine 1,0 hatte. Dafür machte er eine Ausbildung als Krankenpfleger, bis er später eine Zulassung an der Freien Universität Berlin bekam. 1981 gab es die Approbation, 1989 wurde er Facharzt für Neurologie, 1997 Chefarzt im Klinikum Ernst von Bergmann in Potsdam, wo er die neurologische Abteilung von null aufbaute und zu einem renommierten Zentrum unter anderem für Schlaganfallpatienten machte. In Potsdam lehrte er außerdem an der Universität.

Was die Brandenburgklinik von den Akuthäusern, in denen er zuvor arbeitete, unterscheidet, warum Beine hochlegen am Pool noch keine Option ist und worauf er seine Arbeit fokussieren möchte, hat er in einem Interview beantwortet.

Ist es in der Brandenburg Klinik anders, als Sie es aus Ihrer Zeit in Akutkliniken gewohnt waren?

Eindeutig ja. Ich habe bisher in meinem ganzen Leben nur in Akutkliniken und Universitätskliniken gearbeitet, meistens mit 45–60 Betten. Das hat hier ganz andere Dimension, es handelt sich um eine Klinik mit über 300 Betten – nur in der Neurologie Phase C und D. Sie sind aber nicht zentral, sondern auf drei Standorte verteilt. Ich brauchte anfangs eine ganze Zeit, um mich zurechtzufinden und die zahlreichen Stationen kennenzulernen.

Das heißt: viele Patienten, viel Arbeit?

Sicherlich gibt es viel zu tun. Allerdings betrifft die Dimension nicht nur die Zahl der Betten und damit die Patienten, sondern auch die Mitarbeiter. Was sich ganz grundsätzlich zu Akutkliniken unterscheidet: Hier bin ich als Chefarzt nicht nur der Dienstherr der Oberärzte und Ärzte, sondern letztlich auch verantwortlich für die Pflege, den Sozialdienst, die Therapien, die Neuropsychologie. Das ist also eine sehr große Anzahl an Mitarbeitern, und ich sehe eine ganz wichtige Aufgabe darin – neben dem Medizinischen und Rehabilitativen – die Organisation, den Zusammenhalt und die Motivation der Mitarbeiter im Team anzugehen. Das ist eine kleinteilige Arbeit, denn es gibt in einer so großen Klinik mitunter auch viele organisatorische Details, die im Laufe der Zeit vielleicht manchmal auf der Strecke geblieben sind. Ich glaube, dass ich durch meinen recht unvoreingenommenen Blick von außen als Akutmediziner dort gut ansetzen konnte und weiterhin kann.

Sind Sie ein Mensch, der nah dran sein möchte? Gehen Sie noch von Zimmer zu Zimmer und machen Visiten?

Mir war es immer ein großes Anliegen, Erfahrungen zu teilen und weiterzugeben. Ich habe mein ganzes Berufsleben lang gelehrt: Fachärzte, Ärzte, Studenten und Pflegekräfte konnte ich anleiten. Das bleibt auch weiterhin ein wichtiger Aspekt meiner Arbeit. Allerdings bin ich realistisch: Klar ist, dass das natürlich nicht so funktioniert, wie in einer kleinen, überschaubaren Klinik mit 40–60 Betten. Jedenfalls nicht in dieser Intensität. In dieser Größenordnung kann ich leider nicht jede einzelne Station wöchentlich konsultieren. Trotzdem: Visiten bewahre ich mir mit dem ganzen Team, wann immer es möglich ist. Aber auch die Visiten unter Oberärzten und Pflegern halte ich für sehr elementar, denn es verbessert nicht nur die Kommunikation untereinander, sondern auch die Information zum Patienten. Wichtig finde ich ebenfalls regelmäßige Teamsitzungen mit Mitarbeitern aller Berufsgruppen. Das gibt uns die Chance, sich aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu Patienten und deren Krankheitsbildern abzustimmen. So lernen wir miteinander.

Das Arbeiten mit multiprofessionellen Teams, war das neu für Sie?

Nein, ich habe schon immer großen Wert darauf gelegt, dass neben Pflegekräften auch Vertreter aus der Physiotherapie, der Ergotherapie und der Logopädie an den Visiten teilnehmen. In der Vielzahl der Therapieangebote war das hier für mich allerdings neu.

Sie sind 2016 als Chefarzt am Potsdamer Klinikum in den Ruhestand gegangen. Aber Sie haben nie aufgehört, unterstützten stattdessen in Bad Belzig, bieten Sprechstunden in einer Berliner Praxis an: Warum haben Sie sich nicht dazu entschlossen, am Strand zu liegen und nach so vielen Jahren Arbeit und vieler Verdienste abzuspannen?

Ich fühle mich einfach schlichtweg zu jung, um nur am Pool zu liegen oder Tennis zu spielen. Es würde mir etwas im Leben fehlen, denn mir macht die Arbeit als Arzt zu viel Freude – und das kann ich mir auch noch einige Jahre vorstellen. Ich habe relativ lange auf einen Studienplatz warten müssen. Es gibt vieles, das ich als Mediziner noch weiterhin bewirken möchte. Gerade die Neurologie ist ein sehr interessantes Fach, das viele Berührungspunkte mit anderen Disziplinen hat. Überall im Körper sind Nerven. Und Störungen im Nervensystem können zu Lähmungen, zu Gefühlsstörungen Sprach- und Sprechstörungen, Schluckstörungen, Sehstörungen und anderen Defiziten führen. Herauszufinden, woran es liegt, welche Erkrankung dahinter steckt und wie man dem begegnen kann, ist sehr interessant. Gerade in den letzten 20, 30 Jahren hat sich dort sehr viel getan.

Das heißt?

Es wurde aus einem diagnostischen Fach zusätzlich auch ein therapeutisches Fach. Die Therapiemöglichkeiten haben sich ganz entscheidend gewandelt und verbessert. Übertragen auf die Rehabilitationsklinik ist die primäre Aufgabe natürlich nicht, Krankheiten zu diagnostizieren, aber Patienten kommen mit den unterschiedlichsten Erkrankungen zu uns und ich denke, ich kann einiges dazu beitragen, diese Erkrankungen verständlich zu machen und zu überprüfen, ob die Diagnosen der Akutkliniken richtig waren.

Warum ist die Rehabilitation in der Neurologie aus Ihrer Sicht wichtig?

Im Anschluss an die Akutbehandlung ist die neurologische Rehabilitation eine ganz wichtige ergänzende Behandlung von Patienten. Denn Akuthäuser müssen sich schon aus wirtschaftlichen Gründen schnell wieder von Patienten trennen. Ohne die Reha würde im Anschluss eine erhebliche Lücke bestehen. Die Aufgabe der Reha ist, Menschen wieder zurück in den Alltag zu bringen, in Lohn und Brot oder das Beste aus einer Behinderung zu machen und damit umgehen zu können. Die Wahrnehmung dieser Arbeit bedarf sehr viel Engagement, Zuwendung und Know-how. Ich sehe das bei unseren Mitarbeitern. Gemeinsam können wir daran ansetzen und diese Lücke im Anschluss an die Akutmedizin füllen.

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