Raus aus der Großstadt, hin zur Natur in Bad Harzburg: Herzlich willkommen, Herr Splettstösser!

 

Ein medizinischer Tunnelblick ist nichts für Tom Splettstösser. Seit einer Woche verstärkt er das Team der geriatrischen Rehabilitation der Herzog Julius Klinik als Chefarzt. Nach mehr als viereinhalb Jahren als Chefarzt in der Asklepios Klinik Pasewalk hat er sich nun entschieden, der Großstadt und dem Akutklinikbetrieb den Rücken zu kehren und sich der längerfristigen Behandlung seiner Patienten zu widmen. Dabei liegt sein Augenmerk auf der ganzheitlichen Therapie. Als gelernter Physiotherapeut, der langjährigen Tätigkeit als Fitnesstrainer und dem Medizinstudium an der renommierten Berliner Charité mit Spezialisierung zum Internisten, Palliativmediziner und Geriater hat er einen umfassenden Blick für medizinische Zusammenhänge und seine Patienten. Wieso er sich für die Arbeit in der Rehabilitation entschieden hat und welche Wünsche er für die kommende Zeit hegt, das hat er uns im Interview verraten.

Wie kam es, dass Sie sich entschieden haben aus dem Akutbetrieb in die anschließende Betreuungsphase zu wechseln?

Ich wollte mich schon länger räumlich verändern, nach über 30 Jahren Großstadtleben. Diese Region fanden meine Familie und ich landschaftlich sehr reizvoll.

Wird Ihnen die Akutmedizin fehlen?

Nicht unbedingt. Dass ich aus der Akutmedizin ausgeschieden bin, war eine Grundsatzentscheidung. Das habe ich ja achtzehn Jahre gemacht. Ich bin dafür sehr dankbar und konnte vieles lernen. In der Rehabilitation habe ich die Chance, mein Erfahrungswissen mit ganzheitlichem Ansatz einzubringen. In der Akutphase, wo der Schwerpunkt auf der Symptomkontrolle und der Diagnostik liegt, hat man weniger Zeit zur Verfügung, sich komplex um die Patientinnen und Patienten zu kümmern; insofern finde ich das Arbeiten in der Rehabilitation sehr reizvoll, weil ich auch andere Bereiche betrachten kann – das soziale Umfeld, den Hilfsmittelbedarf sowie die individuellen Wünsche der Menschen.

Das heißt, man sieht in der Rehabilitation eher Erfolge?

Es ist vielmehr eine Anknüpfung an die Akutphase – ein Feinschliff sozusagen. Wir können hier schauen, was noch zu verbessern ist – gerade was die medikamentöse Therapie angeht. Es ist bekannt, dass ältere Menschen zu viele Medikamente nehmen. In der Geriatrie ist die sogenannte Polypharmazie weit verbreitet. In der Geriatrie haben wir es mit vielen Erkrankungen zu tun. Häufig sind neben den internistischen Klassikern wie Bluthochdruck, Diabetes und Herzschwäche auch urologische, orthopädische, neurologische, psychiatrische und onkologische Erkrankungen vorhanden – da braucht man eine fundierte fachliche Übersicht über alle Bereiche. Das ist unsere Aufgabe als Geriater – zu gewichten, was im Vordergrund steht und welche Therapien eher vernachlässigbar sind. Oft gibt es gefährliche Überscheidungen von medikamentösen Therapien. So versuchen wir, ein machbares „Paket“ zu schnüren, ein Konzept für die Zukunft und das natürlich unter Einbeziehung des Willens der Menschen. Der Mensch ist nach wie vor in der vollen Verantwortung – soweit es seine geistigen Fähigkeiten erlauben. Seine Wünsche werden entsprechend berücksichtigt.

Das klingt so, als wäre gerade in der Geriatrie viel Fingerspitzengefühl nötig?

Auf jeden Fall. Es gibt viele Graustufen – schwarz und weiß sind selten. Allein schon fachlich ist unheimlich viel theoretisches Wissen erforderlich und vor allem auch Erfahrungsmedizin, weil die meisten Zulassungsstudien mit eher jüngeren und gesünderen Menschen gemacht werden. Es gibt wenig belastbare Zahlen für Patienten um die 80 und älter. Ich kann in der Regel circa ein Drittel der Medikamente absetzen, ohne dass Nachteile entstehen. Häufig profitieren die Menschen von der Reduktion, weil weniger Nebenwirkungen auftreten. Man darf nicht vergessen, dass es sich bei Medikamenten um „Fremdstoffe“ handelt, welche der Körper „entsorgen“ muss, was eine große Belastung darstellen kann. Ein weiterer Schwerpunkt unseres Handelns ist die sogenannte orthomolekulare Medizin – die Lehre über die Vitalstoffe, welche wir dringend zum Leben benötigen.

Was versteht man darunter?

In der orthomolekularen Medizin geht es sowohl um die Behandlung von Krankheiten, als auch um die Erhaltung der Gesundheit mit der individuell passenden Dosis einzelner Nährstoffe. Das war ganz lange ein blinder Fleck: Wir haben uns nur wenig um Vitalstoffe gekümmert in der Annahme, alles sei ausreichend in unserer Nahrung vorhanden: Mineralien, Vitamine sowie Spurenelemente. Untersuchungen zeigten, dass der Vitalstoff-Gehalt in Nahrungsmitteln in den letzten 100 Jahren stetig abnahm aufgrund der auf Ertrag getrimmten Produktion. Daher hat ein Großteil der Bevölkerung – auch schon die jüngeren Menschen – einen relativen Vitalstoffmangel. Das tut nicht weh, daher sind sich die Menschen dessen nicht bewusst. Die Symptome entwickeln sich schleichend über Jahrzehnte und sind diffus – Müdigkeit, Schwäche, Schlafstörungen, Gedächtnisstörungen, Allergien. Am Weitesten verbreitet ist der Vitamin-D-Mangel – wobei man hier korrekterweise nicht von einem Vitamin, sondern einem Hormon sprechen müsste. Vitamin D ist sehr vielfältig; es wird oft auf seine Wirkung auf die Knochen reduziert, dabei ist es ein wahrer Immun-Booster, wichtig für Nerven und Muskeln. Des Weiteren ist die Versorgung mit B-Vitaminen und Eisen häufig unzureichend – beides ebenfalls sehr wichtig für Nerven und Muskeln. Wir testen auszugsweise und substituieren dann entsprechend. Ältere Menschen haben häufig Gedächtnisstörungen. Da ist es entscheidend, dass die Patienten gut versorgt sind mit B-Vitaminen. Wenn man das alles berücksichtigt, dann hat man mit etwas Geduld gute Ergebnisse, die man gar nicht mit irgendwelchen professionellen Medikamenten erreichen kann. Mittlerweile blicke ich auf weit über 1000 Analyse-Daten zurück. Der Vitamin-D-Mangel besteht bei den älteren Menschen bei fast zu 100 %, sodass man sich das Messen eigentlich sparen und gleich mit einer Substitution beginnen kann – wichtig ist hier das Kombinieren mit Magnesium – einem relevanten Kofaktor.

Auch wenn es in der geriatrischen Rehabilitation vorrangig darum geht, den Patienten zurück in ihren Alltag zu helfen und vor allem Pflegebedürftigkeit zu verhindern, glauben Sie, dass Sie auch dort von Ihrer palliativmedizinischen Erfahrung profitieren werden?

Ich denke schon. Im Rahmen der Palliativausbildung habe ich gestaunt, wie weit weg ich selbst nach 15 Jahren Tätigkeit als Arzt noch vom Thema Sterben und Tod war. Denn auch als Arzt hat man nicht ständig mit sterbenden Menschen zu tun. Auch nicht in der Geriatrie. In unserer Gesellschaft ist zudem das Thema nicht sehr präsent. Da ist noch ganz viel Arbeit nötig. Das spiegelt sich in der Verdrängung des Themas wider und das zieht sich durch alle gesellschaftlichen Schichten. Es wird zwar hier und da darüber gesprochen, aber wie man richtig damit umgeht, das wird uns nicht beigebracht. Dies kann nur durch Annahme geschehen; zu akzeptieren, dass wir kommen und gehen. Und zu verinnerlichen, dass es keine Garantien gibt. Das gilt auch für Erkrankungen oder andere belastende Ereignisse im Leben eines Menschen. In dem Moment, wo die Menschen den jeweiligen belastenden Prozess auf der emotionalen Ebene annehmen, bessert sich die Situation. Das gilt auch für begleitende Angehörige. Jeder „Kampf“, jedes „Verdrängen“ führt zu weiteren Erkrankungen und seelischem Schmerz. Erfreulicherweise sind die Patientinnen und Patienten unserer Klinik relativ fit mit guter Prognose, daher steht die Palliativmedizin hier im Hintergrund. Der beschriebene Grundsatz jedoch könnte helfen, mit chronischen Erkrankungen besser umzugehen.

Stand schon zu Beginn Ihrer medizinischen Laufbahn fest, dass Sie in die Geriatrie oder die Palliativmedizin gehen wollten?

Nein, es war vielmehr ein Prozess. Ich wusste nur, ich arbeite gerne mit Menschen zusammen, und so machte ich erstmal eine Ausbildung zum Physiotherapeuten und war erstaunt, wie leicht mir das gefallen war. Das war mein Ding und so bewarb ich mich zum Medizinstudium. Zunächst bin ich Internist geworden, nachdem ich mit den operativen Fächern nicht warm geworden war. Des Weiteren wollte ich mich noch nicht auf etwas Spezielles festlegen. Die Innere Medizin ist ein sehr breites Feld. Irgendwann bin ich durch Zufall in die Geriatrie gekommen und habe festgestellt, dass ich mit den Menschen dort gut zurechtkomme und sie mit mir.

Sie haben die erste Woche an der Herzog-Julius-Klinik hinter sich gelassen. Wie gefällt es Ihnen bisher?

Die Herzog-Julius-Klinik ist eine sehr moderne Klinik in idyllischer Berglandschaft. Ich wurde herzlich begrüßt und vom Mitarbeiter-Team sehr freundlich aufgenommen. Man führte mich geduldig in die einzelnen Bereiche ein. Also insgesamt ein sehr schöner Start für mich.

Haben Sie besondere Wünsche an die kommende Zeit?

Ich wünsche mir eine rasche Einarbeitung und dass ich meine Erfahrungen positiv in die Klinik einbringen kann und das wir gemeinsam durch konstruktives Miteinander die Qualität unserer Arbeit und die Zufriedenheit unserer Patientinnen und Patienten weiter verbessern können.

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